April 25, 2024

Kolumne 21.12.2015

Kolumne vom 21.12.2015 – Nr. 383


Peter Longerichdaumen rauf

Hitler

Peter Longerich - Hitler

Tyrann, Psychopath, Vollstrecker eines rassenideologischen “Programms” – oder gar charismatischer “Führer”, dem seine Anhänger entgegengearbeitet haben? Ob Außenpolitik und Kriegführung, Terror und Massenmord, Kirchenpolitik, Kulturfragen oder Alltagsleben der Deutschen – überall bestimmte Hitler, bis in Details hinein, die Politik des Regimes. Durch seine persönlichen Entscheidungen prägte er es auf eine Weise, die bislang unterschätzt wird. Konsequent zerschlug er Machtstrukturen, die ihn behinderten, und schuf stattdessen eine Führerdiktatur – in seiner schließlich fast grenzenlosen Macht war er auf die Zustimmung der Bevölkerung nicht mehr angewiesen.

Eine sagenhafte Hitler-Biographie! Ein Mammutwerk, das einem den Menschen Hitler und sein konsequent politisches Handeln beängstigend nahe bringt. Peter Longerich betitelt Hitler als einen Niemand. Auf Hitlers erste Lebensphase, die ein einziger Scherbenhaufen war, trifft das zu. Umso erschreckender ist es zu lesen, wie aus diesem Niemand der “Führer” Hitler wurde. In diesem Buch erfährt man von dem Unglück, dass Hitler mit viel Glück den 1. Weltkrieg überlebte; von den Unwahrheiten aus Hitlers “Mein Kampf”; wann Hitler zum absoluten Antisemit wurde; wie Hitler nach und nach der “Führer” und Chef der NSDAP wurde; dem Putsch und dem Neuanfang; wie aus der “Bewegung” der NSDAP eine richtige Partei wurde und bald darauf die Massen begeisterte; wie Hitler nach der Machtübernahme mit schrecklichen politischen Entscheidungen den Saat umbaute; wie er der katholischen Kirche befahl, was sie tun durfte und was nicht; wie er außenpolitische “Märchen” erzählte; wie er nach und nach alles danach ausrichtete, Krieg zu führen; und noch so vieles mehr. 2/3 des Buches handeln von vor dem Beginn des Krieges. Peter Longerich geht sorgsam auf viele Details in Hitlers Leben ein. Atemberaubend und absolut erschreckend ist dieses Werk zugleich!

Siedler, 1295 Seiten; 39,99 Euro


Bernhard Aichnerdaumen runter

Totenhaus

TotenhausBei einer Exhumierung auf einem Innsbrucker Friedhof werden in einem Sarg zwei Köpfe und vier Beine gefunden. Schnell wird klar, dass es sich um ein Verbrechen handeln muss, dass hier die Leichenteile eines vor einem Jahr spurlos verschwundenen Schauspielers liegen. Nur eine Person kommt als Täterin in Frage: die Bestatterin, die die Verstorbene damals versorgt und eingebettet hat. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Brunhilde Blum den Schauspieler getötet hat. Doch wo ist Brunhilde Blum?

Bernhard Aichner sorgte mit seinem Thriller “Totenfrau” für viel Aufsehen. Er wurde zum Bestseller. Nun kommt mit “Totenhaus” die Fortsetzung um Bestatterin Brunhilde Blum. Mich konnte schon der erste Band nicht begeistern, Der Hype, der darum gemacht wurde, war für mich nicht nachzuvollziehen. Besonders hervorzuheben ist Bernhard Aichners Schreibstil. Diese kurzen, schnellen Sätze gefallen mir eigentlich sehr. Man denkt, es ist einfach so zu schreiben, aber das ist es nicht. Doch wenn man diesen Stil pflegt, dann muss auch die Geschichte dazu passen. Und das tut sie weder beim ersten noch beim zweiten Band. Richtig spannend wird es nie. Man kämpft sich so durch den Roman, aber ohne den unbedingten Drang weiterlesen zu wollen. Wie wird dann der dritte Teil? Man kann für den Autor nur hoffen, dass er zu seinem hervorstechenden Stil endlich auch eine spannende Geschichte zu erzählen hat.

btb, 413 Seiten; 19,99 Euro


Elena Chizhovadaumen rauf

Die Terrakottafrau

Die TerrakottafrauDie literaturbegeisterte Hochschullehrerin Tatjana bringt sich und ihre Tochter allein durch, nachdem sie sich von ihrem Ehemann getrennt hat. Kein leichtes Unterfangen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, ihr Einkommen reicht oft gerade eben für Grundnahrungsmittel. Als sie dem erfolgreichen Unternehmer Friedrich begegnet, und dieser ihr ein lukratives Jobangebot macht, überlegt sie nicht lange: Für Tatjana bricht nun eine Zeit an, in der nicht mehr Rubelnoten, sondern Dollarbündel den Besitzer wechseln. Doch sie lernt auch die Schattenseiten des Raubtierkapitalismus kennen und muss sich fragen, ob sie ihre moralischen Grundsätze wirklich über Bord werfen kann – und will.

“Die Terrakotafrau” ist Literatur in seiner schönsten Form. Die Russin Elena Chizhova hat einen eleganten, fließenden Stil. In ungewöhnlicher, aber konsequent klar vorgetragener Form erzählt sie Tatjanas Geschichte. Die Hauptfigur hat viel Gewicht in diesem Roman. Große Nebenschauplätze gibt es nicht, und wenn, dann spielt Tatjana immer eine Rolle. Neben der Hauptfigur gibt es noch einen anderen großen Hauptdarsteller: Russland. Man sieht das Russland von damals wie durch ein Fernglas. Man nimmt teil an allem, erfährt verborgenes, geheimes, unglaubliches und ganz normales. Der Roman wird auf zwei Ebenen erzählt: einmal die Zeit nach Friedrich und die Zeit mit Friedrich, der eigentlich Jewgeni Friedrichowitsch heißt. “Die Terrakottafrau” – ein starkes Stück Literatur!

dtv, 447 Seiten; 16,90 Euro


Kurt Biedenkopfdaumen rauf

Ein neues Land entsteht

Ein neues Land entstehtSchon im Herbst 1990 wird klar, dass die politische Klasse in Bonn auf die Herausforderungen der Wiedervereinigung kaum vorbereitet war. Kurt Biedenkopf schildert den Kampf um die umstrittene Finanzierung des Aufbaus Ost und eine gerechte Lastenverteilung, die Mentalitätsunterschiede und die Gemeinsamkeiten zwischen West- und Ostdeutschland.

“Eine neues Land entsteht” ist der zweite Band aus Kurt Biedenkopfs Tagebuchreihe. Dieser Band umfasst den Zeitraum November 1990 bis August 1992. Der Abschlussband “Ringen um die innere Einheit” den Zeitraum August 1992 bis September 1994. Auch dieser Band ist nun erschienen. Ebenfalls, als Neuauflage (erstmals erschienen im Jahr 2000), erschienen ist “Von Bonn nach Dresden”. Dieser erste Band umfasst den Zeitraum Juni 1989 bis November 1990. Alle drei Bände liegen somit nun in einheitlichen, schönen Ausgaben vor. Die Tagebücher von Kurt Biedenkopf, der von 1990 bis 2002 Ministerpräsident von Sachsen war, sind gelebte, politische Geschichte. Deutsche Geschichte zum anfassen. Ein zeitgeschichtlicher, literarischer Hattrick!

Siedler, 528 Seiten; 29,99 Euro


Renè Burridaumen rauf

Mouvement

Mouvement

Der Auftakt für eine Edition von René Burris Lebenswerk. Diese breit angelegte Ausgabe enthält Fotografien eines der bekanntesten Bildjournalisten unserer Zeit. Weit über einhundert farbige und schwarzweiße Bilder, die neben Porträts weltbekannter Persönlichkeiten nicht nur die politischen Brennpunkte unserer Zeit spiegeln, sondern auch den Blick auf weniger bekannte Werke aus dem gesamten Oeuvre dieses Fotografen freigeben.

Dieses zweibändige, edel in Leinen gebundene Werk ist ein Augenschmaus für Foto-Fans! Die Bilder haben große Kraft. Man sieht sie lange und findet immer wieder neue Details darin. Renè Burris Werke sind vielschichtig und erstrecken sich über Jahrzehnte. Sie zeigen die Fotos von Treppen auf Sizilien (von 1955), einen Straßenauszug in Kairo (1958), einen Strand in Rio de Janeiro (1958), einen Straßenauszug in Seoul (1961) einen Platz in Havanna (1993), Kinder vor einem Panzer in West-Berlin (1964), einen Mann in Kalifornien, der am offen Kofferraum seines Autos steht und telefoniert (1979), die Beine von Mann und Frau in Peking (1989), und noch sehr viele mehr nachhallende Fotografien.

Diogenes / Steidl, 308 Seiten; 75,00 Euro


Hörbuch der Wochedaumen rauf

Richard David Precht

Erkenne die Welt: Eine Geschichte der Philosphie

Erkenne die Welt  Eine Geschichte der Philosphie

Im ersten Teil seiner auf drei Bände angelegten Geschichte der Philosophie beschreibt der Autor die Entwicklung des abendländischen Denkens von der Antike bis zum Mittelalter. Er verfolgt die Entfaltung der wichtigsten Ideen – von den Ursprungsgefilden der abendländischen Philosophie an der schönen Küste Kleinasiens bis in die Klöster und Studierstuben, die Kirchen und Machtzentren des Spätmittelalters. Dabei bettet er die Philosophie in die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen der jeweiligen Zeit ein.

Eine lehrreiche und höchst interessante Zeitreise zu den Ursprüngen der Philosophie! Richard David Precht sagt gleich zu Anfang, dass auch seine Betrachtung der Philosophie nur eine eingeschränkte sein kann, doch dafür macht er es sehr gut. Er vermittelt viel Wissen, das man in dieser dargereichten Form bisher wohl kaum kannte. Flüssig und gut zu lesen und zu hören. Es kommen vor: Plato, Homer, Diogenes, Pythagoras, Heraklit, Sokrates und noch viele mehr. Es geht über: Glaube, Irrglaube, Wiedergeburt, über die Erfindung des Geldes, über die Natur, über alles, was den Menschen heute wichtig ist. Es zeigt auf, dass schon Jahrhunderte vor Christie Geburt der Weg zum heutigen Denken gelegt wurde. Und dass sehr viele schlaue Gedanken produziert wurden. Eine Aussage, die heute nicht weniger zutrifft wie damals, ist mir besonders hervorgestochen: “Allen ist das Denken erlaubt, doch viele machen keinen Gebrauch davon.” Der Autor liest selbst die Einleitung, dann übernimmt Chrisian Baumann. Klarer Ausdruck und mit einem Hauch von Eleganz liest Christian Baumann diese manchmal nicht ganz einfache Geschichte der Philosophie. Doch man ist trotzdem immer schon gespannt, was denn noch alles kommt.

Auch als Hardcover erhältlich bei Goldmann, 22,99 Euro.

Der Hörverlag, 2 MP3 CDs, 1120 Minuten; 22,99 Euro


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